Gender-bias im App Design : Von Personas und Säbelzahntigern

So sinnvoll es ist, Personas zu erstellen und für den Entwicklungsprozess zu verwenden, so gross ist aber auch die Gefahr, in die Klischee-Falle zu tappen und dabei unbewusste Stereotypen zu bestärken. Hier ein paar Tipps, wie das nicht passiert.

Unbewusst fallen wir oftmals in Stereotypen und Klischees. Bild: Unsplash, Markus Winkler

Kürzlich haben wir einen Blogartikel zum Thema Personas publiziert und wozu sie nützlich sind. So sinnvoll es ist, Personas zu erstellen und für den Entwicklungsprozess zu verwenden, so gross ist aber auch die Gefahr, in die Klischee-Falle zu tappen und dabei unbewusste Stereotypen zu bestärken. Als Entwickler:innen und UX Designer:innen ist es unsere Aufgabe, hier ein Auge drauf zu halten – denn wir sind in der Position, um nicht nur Stereotypen zu vermeiden, sondern nachhaltig aufzubrechen. 

Stell dir folgende Szene vor: «Der Arzt gibt dem Patienten die Medikamente.» In einem Grossteil der Fälle ist der Arzt, den wir uns in dieser Situation vorstellen, ein Mann. Genauso wie die Pflegeperson eher weiblich gelesen wird. Ein Bauarbeiter ist männlich und breitschultrig und für die Kinderbetreuung ist garantiert die Mutter zuständig. Unser Denken ist geprägt von Stereotypen und meistens sind sie uns nicht einmal bewusst. Dennoch beeinflussen sie tagtäglich unsere Entscheidungen und Handlungen.  

Das Hirn hilft bei Gefahr und bei Personas

Unser Gehirn spart gern Energie – das sicherte uns früher das Überleben in der Wildnis. Auch jetzt funktioniert unser Gehirn noch genau gleich wie zur Zeit, als wir noch vor Säbelzahntigern flüchten mussten. Das bedeutet: Wir schubladisieren. Schnell. Weil es uns den Alltag erleichtert. Und alles, was sich einmal eingeprägt hat, ist schwierig wieder «loszuwerden». Eben weil es Energie benötigt, die unser Hirn eigentlich sparen wollte. 

Spannend ist die Tatsache, dass wir bereits schubladisieren und Informationen abrufen, bevor das Bild unseres Gegenübers unser kognitives Bewusstsein erreicht. Wir stereotypisieren innerhalb von Millisekunden. Aber selbst wenn wir Zeit haben, um nachzudenken (weil mit grosser Wahrscheinlichkeit kein Säbelzahntiger aus dem Gebüsch springt), neigen wir zum Schubladendenken. Und genau hier liegt auch die Gefahr, wenn wir für ein Projekt Personas entwickeln.

Was bedeutet „unconscious bias“ eigentlich? Video: Youtube

Klischeehafte und extreme Personas

Der erste Fehler ist es, in Extreme zu fallen. «Das ist der klassische Rookie-Mistake bei der Erstellung von Eigenschaften einer Persona», so Maria Timonen, unsere UX Spezialistin. Wir definieren also nicht einfach eine Hausfrau mit einem Kind und dem Hobby Lesen, sondern gehen gleich all-in. Die 40-jährige Hausfrau hat drei Kinder, ist ständig überlastet, hat aus Zeitmangel keine Hobbies, trinkt einmal die Woche in der Frauengruppe Wein und streitet sich oft mit ihrem Ehemann, weil sie sich zu wenig wertgeschätzt fühlt. Wir graben also bei einer Figur gleich ganz tief in die Klischeekiste, um ein möglichst drastisches (und in unserer Annahme klares) Bild zu zeichnen. Je besser wir schubladisieren können, umso glücklicher ist unser Gehirn, würde man meinen. 

Das klassische Thema des gender-bias

Der Schulleiter ist männlich, die Kindergärtnerin weiblich. Der Anwalt ist ein Mann und die Sekretärin eine Frau. Diese Aufteilung ist längst veraltet und dennoch fallen wir in dieses Muster. «Mit Personas kann ich nicht nur Stereotypen aufbrechen, sondern im schlimmsten Fall stärken». Weil Entwickler:innen mit Hilfe von Personas versuchen, sich besser in die User:innen einzudenken, stärken wir schon vorhandene Denkmuster. Wir zementieren also die Klischees damit gleich noch zusätzlich. Die gute Nachricht: Diese Stereotypen sind einfach aufzubrechen, wenn das Bewusstsein dafür vorhanden ist. 

Personas bieten eine Chance, um besser mit den User:innen zu kommunizieren. Es gibt emotionalen Anschluss, fördert die Fähigkeit, uns in die jeweilige Person hineinzuversetzen und ihre Bedürfnisse zu verstehen. Wir als Designer:innen und Entwickler:innen sind also in der Verantwortung, auf die Bremse zu stehen und gegenzusteuern, wenn wir zu stark in Stereotypen verfallen.

Die Abbildung einer klassischen Familie fällt ebenfalls in die Sparte des gender-bias. Bild: Unsplash, Sandy Millar

Natürlich dürfen wir dabei die Stereotypen nicht mit Statistik vergleichen. Es kann durchaus Sinn machen davon auszugehen, dass ein Grossteil der Bauarbeiter männlich sind – das lässt sich statistisch nachweisen. Hier muss niemand forciert gendern und die 27-jährige Lana auf die Baustelle schicken. Aber in den allermeisten Fällen ist das Geschlecht absolut irrelevant und verleitet im schlimmsten Fall nur dazu, die Klischeefalle zuschnappen zu lassen. 

Die Schublade möglichst lange geschlossen halten

Der zweite Fehler, der laut Maria häufig gemacht wird, ist bei der Erstellung einer Persona auf Alter, Geschlecht und Beruf zu fokussieren. Alle drei sind «harte» Faktoren, die eventuell gar keinen Einfluss auf die Persona haben, aber dazu beitragen, bestimmte Stereotypen in unserem Unterbewusstsein abzurufen. 

Eine gute und für den Entwicklungsprozess nützliche Persona definiert sich nicht über ein spezifisches Alter, einen Beruf oder ein Geschlecht, sondern über ihre Wertvorstellungen, Ziele und Bedürfnisse im Leben sowie ihren Herausforderungen oder «pain points». Wenn wir zuerst diese «weichen» Faktoren festlegen, können wir den Rest der Persona willkürlich wählen, ihr ein Gesicht, einen Namen, ein Alter und wenn nötig auch ein Geschlecht geben. So entsteht die Nähe zur User:in mit den relevanten Aspekten, ohne dass unser Hirn bereits bei der Wahl des Namens eine Schublade öffnet. 

Ein spannender TED-Talk darüber, wie man seine unterbewusste Stereotypisierung hinter sich lässt. Video: Youtube

Drei Schritte für weniger Stereotypen

Diversity gilt also nicht nur im Alltag, sondern auch bei der Entwicklung unserer fiktiven Nutzergruppe. Natürlich können wir das Problem der gender-bias nicht komplett lösen und sicherlich tappen wir hie und da in die Falle unseres energiesparenden Hirns. Aber wir haben die Möglichkeit, die Weichen zu stellen, indem wir versuchen, möglichst bewusst in andere Richtungen zu lenken. Das geht am einfachsten, indem wir bei der Erstellung von Persona:

  1. Zuerst von den «weichen» Faktoren wie Werte, Ziele, Herausforderungen und pain points ausgehen
  2. versuchen, in einem ersten Schritt geschlechtsneutral zu arbeiten 
  3. Bewusst auch mal mit unseren Klischees spielen und sie umdrehen. Das heisst, einen Schritt zurück zu gehen und die eigenen Stereotypen reflektieren

So gehen wir nicht nur aktiv gegen Stereotypen vor, sondern sorgen auch dafür, dass wir unsere Zielgruppe möglichst genau abdecken und keine blinden Flecken entstehen.