Hinter den Kulissen der Barrierefreiheit
Barrierefreiheit fordert nicht nur UX Designer:innen und Accessibility-Fachpersonen heraus, sondern auch die Engineers. Vieles passiert im “Verborgenen” und ist für uns oft nicht sichtbar – es gäbe aber vieles, das – wenn richtig genutzt – den Alltag von Menschen mit Beeinträchtigungen erleichtern würde. Bei unserem Accessibility Event, der letzte Woche stattfand, haben wir uns diesem Thema gewidmet.
Innerhalb von Bitforge haben mehrere Personen den Blick auf Accessibility in den Projekten – und die Möglichkeiten, wie die Barrierefreiheit möglichst optimal umgesetzt werden kann. Darunter Spezialist:innen aus dem UX Design, aber auch aus dem Engineering, um alle Bereiche optimal abzudecken. Accessibility betrifft nicht nur die optische Darstellung von Inhalten, sondern auch die Technik im Backend.
Accessibility bei iOS und Android
Wie es bei Bitforge aussieht, hat unser Engineer Pascal Hostettler in seinem Vortrag am Accessibility Event erläutert. Besonders wichtig ist es demnach, bei den eigenen Apps dafür zu sorgen, dass voreingestellte Accessibility-Features des Betriebssystems nicht ausgeschaltet oder übersteuert werden. iOS wie auch Android bieten nämlich voreingestellt bereits nützliche Hilfsmittel für beeinträchtigte Personen, die – wenn richtig umgesetzt – auch innerhalb spezifischer Apps genutzt und eingebaut werden können.
Beispielsweise kann bei jedem Gerät die Schriftgrösse angepasst werden. Gemäss den Richtlinien des WCAG, muss diese bis 200% vergrössert werden können. Wenn man nun aber diese Funktion in der App übersteuert und die Einstellungen des Betriebssystems nicht übernimmt, nützen all die tollen bereits integrierten Features nichts. Die App ist für Menschen mit einer Sehschwäche nicht nutzbar.
Grundlegende Anpassungen für grosse Wirkung
Mit kleinen Schräubchen lassen sich bei fast allen Apps schon Verbesserungen bewirken. Wie diese individuell aussehen können, lässt sich in einem Accessibility Review ausarbeiten. Dabei werfen wir einen geschulten Blick auf die bestehende App und erarbeiten dann Tipps, die mit möglichst wenig Aufwand umsetzbar sind.
Weitere Basics, die eine App zugänglicher machen:
- Wahl zwischen Normal und Dark Modus
- Apps immer auch im Querformat bereitstellen
- Einstellungen im Betriebssystem nicht übersteuern
- Screen Reader nutzen und entsprechend testen
- Untertitel bei Videos
- Navigations- und Hilfselemente immer am gleichen Ort auf dem Screen platzieren
Auch ein PDF könnte barrierefrei sein
Bei digitalen Produkten geht es vordergründig um Themen wie Farbwahl, Grösse der Buttons und visuelle Darstellung – aber dahinter liegt weit mehr. Vieles ist nicht sichtbar. Schon gar nicht für Personen mit Beeinträchtigungen. Wie viele von uns machen den Titel eines Dokuments einfach grösser und fett gedruckt, anstatt die vom System vorgesehene “Header”-Funktion zu nutzen? Oder wir schreiben einen Untertitel kursiv, anstelle ihn als Untertitel zu deklarieren.
Genau das ist die Problematik, wenn es um die Barrierefreiheit von PDFs geht, wie Alena Bachmann bei ihrem Referat erläutert. Sie ist Co-Founder von MyPAR GmbH und damit vom Fach. PDFs sind selten barrierefrei und vor allem für Screen Reader schwierig zu lesen, wenn wir unsere Ursprungsdateien (z.B. im Word) nicht angemessen formatiert haben. Sie plädiert dafür, dass wir uns bereits bei der Erstellung die Mühe geben, das Dokument mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu erstellen:
- Korrekte Hierarchie festlegen (Überschriften verschiedener Ebenen)
- Richtige Werkzeuge für Textelemente und die Textkomposition einsetzen (z.B. Seitenwechsel nicht mit zwanzig Mal Enter-Taste-drücken, sondern mit einem Seitenumbruch)
- Abbildungen und komplexe Tabellen mit einem Alt-Text versehen
Wenn diese Möglichkeiten auch genutzt werden und dann ein PDF erstellt wird, dann ist das PDF im besten Fall auch von Personen mit Beeinträchtigungen zugänglich.
SILAS: Übersetzungsbüro für Gebärdensprache
Wie schwierig es für gehörlose Personen ist, sich in unserer Sprache zu unterhalten, schildert Jana Löffler von SwissTXT eindrücklich. Das Tool SILAS von SwissTXT, welches mittlerweile schon vom Schwerizer Fernsehen und von der Schweizerischen Post eingesetzt wird, übersetzt Kundschaftsanfragen von Gebärdensprache und wieder zurück.
Allein in der Schweiz gibt es drei unterschiedliche “Dialekte” der Gebärdensprache und für die betroffenen Personen ist es oft schwierig, in unserer gewohnten Schriftsprache zu kommunizieren. Daher übersetzt SILAS Anfragen von Gebärdensprache in Schriftsprache und die Antwort des jeweiligen Kundendienstes wieder zurück in die Gebärdensprache. Das erleichtert den Alltag von Betroffenen enorm, da sie so die Möglichkeit haben, in ihrer Muttersprache zu kommunizieren und damit Sprachbarrieren abgebaut werden.
Stetiges Dazulernen und Teilen von Wissen
„Um eine App barrierefrei zu bauen, muss das Thema durchgehend während der Konzeption, dem Design sowohl wie bei der Entwicklung mit berücksichtigt werden. Deshalb ist es uns wichtig, dass unsere Fachkräfte sowohl in UX, Design und Engineering zum Thema geschult und weitergebildet werden”, so Maria Timonen, UX Lead bei Bitforge.
Wo immer möglich bringen wir unser angesammeltes Know-How mittlerweile ein. Aber wir haben auch nie ausgelernt. Das Fachwissen, das wir unter anderem bei Umsetzungen aneignen, geben wir innerhalb des Teams weiter. Dazu gehört nicht nur Awareness für das Thema, sondern auch das technische Wissen. Das erweitern wir nicht nur bei Projekten, sondern auch beim Networking mit Fachspezialist:innen und Betroffennen, mit Nachschlagewerken, an Trainings und Schulungen und durch entsprechende Aus- und Weiterbildungen.
Dazu gehört auch unser Accessibility Event, den wir sicherlich in den nächsten Monaten erneut durchführen werden. Damit schaffen wir eine Gelegenheit, den Austausch zwischen Fachpersonen, Spezialist:innen aus der Digitalbranche und den Betroffenen zu fördern. Damit wir gemeinsam die Vision einer inklusiven Welt für alle verwirklichen können.